Die Blogparade von Julia Pracht hat mich sehr angesprochen, weil ich hier einige eigene Erlebnisse und Erfahrungen beisteuern kann: Selbstorganisiert auf Reisen – das habe ich nur erlebt, weil ich auf eigene Faust unterwegs war.
Selbstorganisiert auf Reisen? Mmmh, im Prinzip organisiere ich meine/unsere Reisen immer selbst, denn ich bin kein Fan von Pauschalreisen oder organisierten Reisen. Ich habe im Urlaub keine Lust auf Reisen, bei denen ich im schlimmsten Fall jemand hinterherlaufen muss, der mir sagt, was ich mir jetzt unbedingt anschauen sollte, wo es lang geht oder wie lange ich irgendwo verweilen kann.
Allerdings muss ich sagen, es ist noch mal eine komplett andere „Nummer“ sich eine Reise zu organisieren, bei der man ganz alleine unterwegs ist. Der Startschuss für meine Solo-Reisen war 2015 anlässlich meines 50. Geburtstags. Das war mein Geschenk an mich selbst. Ich hatte das große Ziel, den Weg von München zum Gardasee zu Fuß, über die Alpen, ganz alleine zurückzulegen. 2016 folgte die Via Alpina von Lenggries nach Oberstdorf und 2017 die Via Alpina von Lenggries nach Berchtesgaden. Bei diesen Reisen war ich immer alleine unterwegs und habe viele lustige, spannende und für mich im Rückblick auch sehr einschneidende und erkenntnisreiche Erlebnisse gehabt.
2015: München-Bozen
Meine erste Solo-Reise begann im August 2015 mit dem Ziel einer Alpenüberquerung von München zum Gardasee. Was ich nicht wusste war, dass sich am 08.08. jedes Jahr viele Wanderer gemeinsam am Marienplatz in München auf den Weg machen, um den Traumpfad München-Venedig in Angriff zu nehmen. Dieser Traumpfad ist ein circa 550 Kilometer langer Fernwanderweg, welcher vom Marienplatz in München bis zum Markusplatz in Venedig führt. Er durchquert dabei das bayrische Voralpenland, das Karwendel, die Tuxer Alpen und den Alpenhauptkamm. Mein Weg von München zum Gardasee verlief die erste Woche parallel zu diesem Traumpfad. Spätestens ab der dritten Übernachtung, die auf der Tutzinger Hütte erfolgte, wurde mir klar, dass ich nicht alleine unterwegs war, denn ich sah immer mal wieder andere Wanderer, die mir bereits an den Tagen zuvor begegnet waren.
Am Morgen des dritten Tages war ich noch in Bad Tölz auf dem Postamt, denn nach zwei Tagen musste ich zugeben, dass mein Rucksack zu schwer war und einige Dinge enthielt, die ich nicht zwingend brauchte – auch wenn ich insgesamt vier Wochen unterwegs sein wollte. Der Postmitarbeiter schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und sagte: „Keine Sorge, das passiert vielen Wanderern … und sie sind heute nicht die Erste :-), die überflüssiges Gepäck nach Hause schickt“.
Die Tatsache, dass ich (die meiste Zeit) alleine unterwegs war, bescherte mir so manche Begegnung, die ich sicherlich nicht gehabt hätte, wenn wir in einer Gruppe unterwegs gewesen wären.
Zum Start der 5. Etappe habe ich mir morgens überlegt, dass ich keine Lust habe, 10 km an der Straße lang ins Risstal nach Hinterriss zu marschieren – also Daumen raus und los. Es hat keine 5 Minuten gedauert und ein nettes Ehepaar aus Baden-Württemberg hat mich mitgenommen. Somit bin ich mit 50 das erste Mal in meinem Leben per Anhalter gereist. Die nächsten Tage haben wir dann deutlich vor Augen geführt, wie vorteilhaft es ist, alleine, ohne Gruppe oder Verpflichtung jemand anderem gegenüber, unterwegs zu sein. Denn auf dem Weg von München nach Venedig traff ich u.a. Ch. aus Mülheim-Kärlich, der sich selbst als „Privatier und Lebenskünstler“ bezeichnete und der nicht nur mir gehörig auf die Nerven ging. Ständig bekamen alle abends auf der Hütte oder im Gasthaus zu hören: „Auf dem Jakobsweg ist alles besser“. Das ging dann so weit, dass morgens beim Frühstück schon geschaut wurde, ob er schon unterwegs sein könnte („dann machen wir heute etwas langsamer“) oder ob er noch beim Frühstück saß, dann wurde es Zeit, fluchtartig aufzubrechen.
Was ich auf dieser Wanderung gelernt habe ist, dass bei einer solchen Tour Flexibilität das Maß aller Dinge ist. Das Wetter in den Bergen verlangte an so manchen Tagen Plan „B“, Routenänderungen, ungeplante Ruhetage oder Herausforderungen, die selbst bei der besten Planung (für mich) so nicht absehbar und einschätzbar waren. So manches Mal musste ich in dieser Zeit an eine Weisheit denken, die ich ganz zu Beginn meiner Coaching-Ausbildung gelernt habe:
„Die Landkarte ist nicht/entspricht nicht der Landschaft“. Für meinen Weg bedeutet das, dass ich natürlich ganz viele Informationen aus einer Landkarte bzw. in meinem Fall eher Wanderkarte heraus lesen kann: die Entfernung von A nach B, die Höhenmeter, wie steil der Weg ist anhand der Höhenlinien, ob ich auf einem Forstweg, Pfad oder Steig unterwegs bin, ob mein Weg durch den Wald führt, an einem Bach entlang oder über freies Gelände. Was ich aber nicht sehen kann, ist die Wegbeschaffenheit: wie tief sinke ich im Matsch ein, ist es rutschig, muss ich mit viel Geröll rechnen, muss ich Hindernisse überklettern oder umgehen usw..
Übertragen auf unser Leben heißt das doch: Selbst die beste Landkarte, die Du Dir für Deinen (Lebens-)Weg ausgesucht und geschaffen hast, birgt Überraschungen! Lass Dich darauf ein und sei gespannt, was an der nächsten Ecke auf Dich zukommt.
Was ich auf dieser ersten Reise noch gelernt habe, war meine Grenzen zu erkennen. Dies hat mir insbesondere die 11. Etappe sehr deutlich vor Augen geführt. Ich wollte von der Landshuter Europahütte über den Wolfendorn-Grat zur Enzianhütte und hatte mich auch vor meinem Aufbruch um 08:00 Uhr nochmals beim Hüttenwirt erkundigt, ob die Tour überhaupt machbar sei (Nebel und alles klitschnass) – „Ja, alles kein Problem“, war die Auskunft. Das sah ich aber schon nach wenigen Minuten völlig anders. Die Tour war mehr als heftig und ich habe mich x-fach gefragt, wieso ich mir das antue. Als ich schließlich nach 2 Stunden auf der Wildseespitze (2.733 m) stand und laut Buch nur 45 Minuten gebraucht hätte, war mir die Sache nicht mehr einerlei. Plötzlich hatte ich noch Tritteisen und Seilversicherung vor mir, so dass ich mich entschloss, die Tour zu ändern und komplett ins Pfitschtal abzusteigen. Hier kam ich dann nach rund 6 Stunden mental ziemlich angeschlagen an und brauchte lange Zeit, um mein Adrenalin wieder abzubauen und mir klarzumachen, warum ich überhaupt unterwegs war.
Und dann gab es einfach nur wundervolle Momente, in denen ich die Bestätigung erhielt und wusste, warum ich unterwegs war.
Zum Schluss meiner ersten Tour ist noch zu sagen, dass ich diese nach drei Wochen beendet habe. Ich bin aus verschiedenen Gründen nicht, wie geplant, bis zum Gardasee gewandert, sondern ich bin bis Bozen gekommen. Hinterher habe ich manchmal gehört: „Ach, hast Du aufgegeben? Das tut mir aber leid für Dich“. Nein, ich habe nicht aufgegeben und Ihr könnt mir glauben, es gehört eine Menge Mut und Selbstbewusstsein dazu, rechtzeitig zu erkennen, wann es Zeit ist, etwas zu beenden. Und übrigens, ich bin zu Fuß von München bis Bozen über die Alpen gewandert… Das können die Menschen, die mich gefragt haben, ob ich aufgegeben habe, nicht von sich behaupten:-).
Falls Dich weitere Details interessieren: Hier findest Du meinen Reisebericht 2015.
2016: Lenggries-Oberstdorf
Ganz klar, ich war infiziert oder angefixt von den Erlebnissen 2015. Daher nahm ich mir für 2016 ein Stück die Via Alpina (violette Route) vor, die gleichzeitig auch als Maximiliansweg bekannt ist. Zwei Wochen habe ich mir Zeit genommen, um von Lenggries nach Oberststdorf zu wandern. Unterwegs gab es immer mal wieder nette Begegnungen und wenn ich beim Abendessen in einem Gasthaus gefragt wurde, ob ich mich an einem Tisch dazu setzen dürfte, dann waren die Menschen häufig sehr irritiert. Manchmal bekam ich auch zu hören: „Wir haben aber nur noch einen Platz frei“. „Ja danke, ich brauche auch nur einen Platz, denn meinen Ehemann habe ich zu Hause gelassen!“ 🙂
Wunderschön war die Etappe von der Kenzenhütte und von dort über den Kenzensattel nach Neuschwanstein. Eine sehr einsame Etappe, genauso, wie ich es mir gewünscht und vorgestellt habe. Traumwetter, Traumpanorama,
bis, ja bis ich nach gefühlten fünf Stunden Einsamkeit um die Ecke kam und mich von jetzt auf gleich im größten „Touri“-Trubel befand. Aha, Neuschwanstein kann nicht mehr weit sein…
Da wusste und schätze ich wieder, dass ich nbedingt alleine und selbstbestimmt unterwegs sein wollte. 15.000 Besucher täglich in der Saison – war für mich fast so etwas wie ein Kulturschock bei all diesen Menschen, aus zig Nationen.
Und es gibt sie immer wieder, die mega netten Menschen, die sich wirklich für Dich interessieren. Nachfragen, was Dich dazu bringt, so eine Tour alleine zu absolvieren, Dir Mut machen, Dir bei allzu aufdringlichen Kühen helfen 🙂 und Dir von sich und ihrem Leben erzählen. So z.B. drei ältere Damen, die ich bei einer Pause am Alatsee getroffen habe und die mir erzählt haben, dass sie sich seit der Schule regelmäßig ein mal wöchentlich zum Wandern treffen und das seit mehr als 60 Jahren – Hut ab, vor so viel Energie und Freundschaft.
Weitere Details zu meiner Wanderung von Lenggries nach Oberstdorf findest Du hier.
2017: Lenggries-Berchtesgaden
In 2017 habe ich dann die Gegenrichtung in Angriff genommen, also von Lenggries nach Berchtesgaden. Hier hatte ich schon am ersten Tag ein echtes Aha-Erlebnis: Der offensichtliche Weg ist nicht immer der Beste oder der Richtige. Beim Bergauf-Wandern schaut man oft nach unten auf den Weg, übersieht aber, dass durch Erosion plötzlich vermeintliche weitere Wege entstanden sind – und ehe man sich versieht, kommt man von seinem eigentlichen Weg ab. Also öfter mal nach oben schauen, um sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen ☺️! Das hat doch viel mit unserem Leben zu tun, oder?
Ein ganz besonderes Erlebnis hat mir dann ein Unwetter verschafft: Leider war es aufgrund vieler umgestürzter Bäume nicht möglich, über den Wendelstein zu meinem nächsten Zielort zu wandern. Von Birkenstein fuhr um 09:00 Uhr der Bus der Wendelstein-Ringlinie und ich kann Euch sagen, so eine unterhaltsame Busfahrt hatte ich schon lange nicht mehr. Ich war der einzige Fahrgast (und blieb es auch für die rund 50 Minuten Fahrtzeit). Zunächst forderte der Busfahrer mich auf, mich direkt vorne in die erste Reihe zu setzen, schließlich wäre es sonst so langweilig. Nach wenigen Minuten Fahrtzeit hielten wir im nächsten Ort an einer Bäckerei an, parkten den Bus mit eingeschalteter Warnblinkanlage direkt vor der Tür und besorgten uns erst einmal einen Kaffee/Cappuccino und Frühstück, schließlich muss man ja schauen, wo man bleibt. Der Busfahrer erzählte mir von einem Freund, der nach Cochem gezogen sei, wo die Leute einen (für ihn) völlig unverständlichen Dialekt sprechen würden. Ähm, sein Dialekt forderte mich auch ein wenig heraus. Die Fahrt verging wirklich wie im Flug und ich fand es fast schade, an meinem Ziel in Brannenburg auszusteigen.
Am nächsten Tag ging es dann wieder per Pedes in die Chiemgauer Alpen. Um auf den Hochries zu steigen, musste ich 1.150 Höhenmeter, und 500 Stufen bewältigen. Meine Helden des Tages waren die zahlreichen (kleinen) Kinder (5-10 Jahre), die ebenfalls auf den Hochries aufgestiegen sind.
Umwege erhöhen die Ortskenntnis …, das ist eine Erfahrung, die ich beim Solo-Wandern auch machen durfte. Aber was soll es, Umwege können auch für etwas gut sein! Mir zeigt das, wie wichtig es ist, bei all den Themen und Dingen, die einen beschäftigen, sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Dazu passt auch eine Weisheit von Konfuzius, die mir auf dieser Tour begegnet ist: „Um zur Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen“!
Leider trauen sich viele Menschen nicht, gegen den Strom zu schwimmen und entfernen sich so immer weiter von ihrer Quelle und ihren wahren Wünschen und Zielen, anstatt sich darauf zuzubewegen. Denkt mal drüber nach…
Mein Fazit
Ich würde immer wieder die Chance nutzen, alleine auf Reisen zu gehen. All die tollen Momente, die Aha- und Wow-Erlebnisse, die mir das Solo-Reisen beschert hat, ich möchte es nicht missen. Ganz bestimmt werde ich irgendwann mal wieder eine solche Reise in Angriff nehmen. Wohin? Das weiß ich heute noch nicht. Zwischenzeitlich gönne ich mir regelmäßig Auszeit-Wandertage nur für mich alleine und auch diese bewirken bei mir ganz viel.
Also habe den Mut und lass Dich auf dieses Abenteuer mit Dir selbst ein – ich bin mir sicher, Du wirst gestärkt daraus hervorgehen.
Liebe Heike! Mit großem Interesse und viel Bewunderung habe ich deinen Beitrag gelesen. Seit langem regt sich bei mir der Wunsch, die Alpen zu überqueren. Bis jetzt gab es immer ausreden vor allem die Fitness. Ich bin als Norddeutsche und Flachlandbewohner ringen mir hohe Berge schon ganz schön Respekt ab. Auch wenn ich schon in den Pyrenäen unterwegs war – bedeutend jünger und ohne Alterserscheinungen. Vor einiger Zeit bin ich mit meiner Freundin über den Harz gewandert und dort schon manchmal an meine Grenzen gestoßen. Die Alpen sind dagegen ja XXL. Es gibt zwar auch geführte Alpenüberquerungen, aber mir geht es da wie dir: je weniger Leute desto schöner. Und das planen macht ja auch schon riesigen Spaß. Hinzu kommt, dass ich auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mit 140 Milchkühen wohne, und schon 1 Woche Urlaub ein großes Maß an Organisation beansprucht. Und trorzdem, nach Lesen deines Beitrages, bin ich wieder bestärkt, das Unternehmen Alpenüberquerung nochmal anzugehen. Wenn auch wohl nicht alleine, sondern zu zweit. Aber mal eine Tagestour zu Beginn alleine, dass werde ich zeitnah in Angriff nehmen und mich dann stetig steigern! Vielen Dank für deine Inspiration! Liebe Grüße Anke
Liebe Anke, es freut mich sehr, dass ich bei Dir mit meinem Beitrag doch noch mal den Mut und die Begeisterung fürs Alleinwandern wecken konnte. Für mich ist es immer wieder ein schönes und bewusstes Erlebnis, Du hörst, siehst und riechst die Natur anders, wenn Du alleine unterwegs bist. Oft mache ich mich mit einer gezielten Frage auf den Weg und durch die äußere Bewegung bewegt sich bei mir dann auch ganz viel im Inneren. Viel Freude dabei … und wenn Du Dich irgendwann auf den Weg machst, die Alpen zu überqueren lass es mich wissen, vielleicht gehe ich ein Stück mit. Mit Dir als Begleiterin hätte ich ja eine erfahrene Kuh-Flüsterin Viele Grüße Heike
Liebe Heike,
Dein Beitrag macht richtig Wanderlust! Das Mutigste fand ich das Beenden der ersten Wanderung. Du hast Recht: Es macht ganz viel mit einem, alleine und selbstorganisiert unterwegs zu sein.
Herzliche Grüße aus Kenia,
Laura.
Liebe Laura, danke für Deinen Kommentar. Ich glaube, wenn man mal verstanden hat, dass man gewisse Dinge nur für sich macht und niemand anderem etwas beweisen muss, dann kann man auch mit einer solchen Entscheidung gut leben.
Herzliche Grüße nach Kenia
Heike